Mittwoch, 28. November 2018

Aller guten Dinge sind drei ... (Part I)

Aller guten Dinge sind drei
oder
es ist nicht alles Gold was glänzt

Das Leben mit dem Lipödem - ein Erfahrungsbericht - Teil I


Nachdem ich mein halbes Leben mit dieser Krankheit gelebt habe und bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal wusste, was es eigentlich ist, an dem ich leide, kann ich nun endlich damit abschließen und darüber berichten.

Aber fangen wir mal am Anfang an:
Seit meiner Jugend hatte ich diese unförmige Körperform. Meine Beine, insbesondere die Oberschenkel, wurden plötzlich unglaublich dick, während mein Körperstamm wirklich schlank geblieben war (wenn ich so drüber nachdenke, hatte ich bis auf die Beine wirklich eine super Figur …). Damals habe ich mir noch keine großen Gedanken darum gemacht. Ich dachte, so bin ich eben, dass die Schmerzen, die ich dort immer hatte, mit dieser Krankheit zusammenhängen, erfuhr ich erst ein halbes Leben später.
Im Laufe der nächsten Jahre wurden die Beine - und letztlich auch die Arme - immer dicker. Ich nahm an diesen Stellen unglaublich zu, immer schubweise 5-6kg in wenigen Wochen, dann war wieder Ruhe für einige Zeit. So habe ich in 5 Jahren 25kg zugenommen. Sport half nicht, Diät half nicht. Ich war am verzweifeln und hasste mich für mein Aussehen.
Manchmal war es so schlimm, dass ich mich nicht mehr auf die Straße getraut habe, weil ich mich den Blicken der Leute nicht aussetzen wollte. Irgendwann entwickelt man eben massive Komplexe und hat das Gefühl, dass alle Blicke erstmal auf diese unförmige Körperform gehen … Nach und nach war es dann aber auch so, dass ich keine Hosen mehr tragen konnte. Die Oberschenkel waren so dick geworden, dass Hosen, die da drübergepasst haben, obenrum viel zu weit waren. Und ich meine wirklich viel zu weit (man hätte fast doppelt reingepasst).
Man fühlte sich elend und irgendwann kommen einem Gedanken, ob man so überhaupt weiterleben möchte ...

Ende 2013 entwickelte ich dann eine chronische Nesselsucht. Es fing an den Armen an und breitete sich immer weiter aus.
Mir schwollen die Augen zu und letztlich war es so schlimm, dass mir sogar die Atemwege regelmäßig zuschwollen (und das ist wirklich nicht schön). Normale Antihistaminika halfen nicht und meine damalige Hautärztin konnte oder wollte mir auch nicht weiterhelfen. Ich war echt verzweifelt. Immer dieses Jucken, immer Kratzen und immer die Angst davor, dass wieder die Atemwege zuschwellen ... Ich reagierte auf fast alle Lebensmittel, manchmal reichte sogar eine einfache Berührung schon aus, um einen Schub auszulösen. 
Sogar auf Ibuprofen hin entwickelte ich böse Schübe, die mir buchstäblich den Atem raubten. Früher hatte ich nie Probleme damit gehabt ...
Später schaffte ich es dann zu einem anderen Hautarzt, der mir endlich ein Antihistaminikum verordnete, das mir in Kombination mit hochdosiertem Cortison half, die Symptome in den Griff zu bekommen.
So überlebte ich dann die nächsten Jahre. Hochdosiertes Cortison zusammen mit hoch dosiertem Antihistaminikum täglich. 
Eine Antwort, woher es kam, fand man aber nie ...

Im selben Jahr machte mich meine Schwester dann darauf aufmerksam, dass meine Probleme mit den dicken Beinen und den vielen blauen Flecken möglicherweise von einem Lipödem herrühren. Offenbar hatte sie kurz zuvor einen entsprechenden Bericht im TV gesehen und musste dabei an mich denken. 
Ich hatte noch nie davon gehört, begann aber meine eigene Recherche. Was ich dann herausfand, passte perfekt zu meinem Zustand. Also sprach ich mit meiner Ärztin darüber. Sie stimmte zu, empfahl mir dann aber - wie es leider so viele Ärzte tun, die es als stinknormale Adipositas betrachten - weniger zu essen und mehr Sport zu treiben; ich würde einfach zu viel essen und sei selbst dran schuld.
Ich war am Boden zerstört über diese Aussage, aß ich doch so schon sehr wenig und an manchen Tagen auch gar nichts.

Ich kann mir gut vorstellen, wie das bei dem ein oder anderen eine Essstörung hervorrufen kann ... auch ich stand kurz davor.

Über die Zeit hinweg fing ich mich dann wieder und begann mich erneut mit dem Thema zu befassen, weil ich so einfach nicht mehr weitermachen wollte.
Zu Spitzenzeiten brachte ich dann fast 78kg auf die Waage. Da war bei mir der Ofen aus. Ich wollte so nicht mehr weiterleben und begann ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, meinem Leben ein Ende zu bereiten, wenn sich nicht bald eine Lösung auftat. Ich schämte mich immer mehr für meinen Körper.
Zusammen mit meinem Mann suchten wir dann eine Lösung für dieses Problem.
Da wir beide es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wussten und die Informationen im Internet zu dieser Zeit noch sehr spärlich waren, was das Lipödem und dessen Behandlung angeht (die Werbepolitik bei Ärzten war damals auch noch sehr prekär und ein großes Problem), wandte ich mich in meiner Verzweiflung (wie ich heute weiß wie so viele andere Betroffene auch) an einen Schönheitschirurgen. Heute kann ich dazu sagen: Das war ganz klar die falsche Wahl. Eine Liposuktion bei Lipödem ist viel radikaler und gewiss keine Schönheitschirurgie, die sich nur oberflächlich mit dem Fett auseinandersetzt!
Er sicherte mir zu, mein Problem zu beseitigen und ich war guter Dinge, endlich wieder ein normales Leben führen zu können. Ich freute mich auf die OP.
Es kostete uns ein Vermögen und wie sich später herausstellte hatte auch er keine Ahnung von der korrekten Behandlung eines Lipödems. So blieb es dann bei einer partiellen Liposuktion, die hauptsächlich die Oberschenkelrückseite betraf.
Ich verlor zwar deutlich an Umfang an den Oberschenkeln und sogar meine Nesselsucht verschwand kurz darauf, aber die Probleme, die ein Lipödem mit sich bringt (Schmerzen, Gelenkprobleme, blaue Flecken, usw.), verschwanden dadurch nicht. Es war ja nur ein Teil behandelt worden.

Heute glaube ich, dass ich vielleicht nicht mehr hier wäre, wäre ich diesen Schritt damals nicht gegangen - und das nicht nur auf meinen damaligen Todeswunsch bezogen. Die Nesselsucht hätte mich irgendwann umgebracht.
Da sie kurz nach dieser OP verschwand, als die Schwellungen langsam nachließen, bin ich mir heute ziemlich sicher, dass sie aufgrund des Lipödems entstanden war. Ein Hilferuf meines Körpers, der sich langsam aufgrund der zunehmenden Stauung immer weiter vergiftete, weil nichts mehr abfließen konnte.
Seither hatte ich keinen einzigen "Nessel-Schub" mehr!

Übrigens ist bis heute nichts davon nachgewachsen, was damals behandelt wurde.


Das war nun der Anfang zu diesem Thema meinerseits, das so viele Frauen betrifft und ich kann nur sagen: Gebt nicht auf! Recherchiert gut und entscheidet dann, welchen Weg ihr gehen wollt! 
Ist es das wert? Ja, es lohnt sich definitiv zu kämpfen! Die Gesellschaft wird immer mehr für dieses Thema sensibilisiert und das muss so weitergehen. Wir sind nicht einfach nur fett, wir essen nicht einfach nur zu viel und sind faul: Es ist eine Krankheit - deren Ursache man aber immer noch nicht herausgefunden hat. Dass eine hormonelle Komponente vorhanden ist, ist mittlerweile klar, aber das ist noch nicht alles. Definitiv.
Ist es auch genetisch bedingt? Spielt eine autoimmune Komponente eine Rolle? Auffällig ist jedenfalls, dass viele Betroffene auch eine (oder mehrere) Autoimmunerkrankung(en) aufweisen, z.B. eine Hashimoto-Thyreoiditis oder einen Morbus Crohn.
Ich hoffe inständig, dass die Forschung sich noch intensiver mit diesem Thema befassen wird, um eine Antwort zu finden.

Ich werde jetzt immer mal wieder einen weiteren Part dazu posten, meine Geschichte geht noch weiter 😄

Vielen Dank fürs Lesen bis hierhin und bis zum nächsten Teil 😉

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